Vor einigen Jahren hätte ich noch selber fest daran geglaubt: man überlässt einen Acker oder eine langweilige Rasenfläche in einem Garten sich selbst und eine mannigfaltige Vielfalt von Wildpflanzen stellt sich ganz von selber ein. Ich bin mittlerweile sehr skeptisch, dass ehemalige Ackerflächen, intensiv genutzte Weiden und Wiesen oder artenarme Rasen sich von alleine zu beachtenswerten Standorten von Artenvielfalt entwickeln können und möchte hier einige Argumente und Beobachtungen, die mir gegen diesen Mythos zu sprechen scheinen zusammentragen.
In unserem Garten wirke ich nunmehr seit einem Jahr. Vorher war die Fläche jahrelang, gelegentliches Rasenmähen ausgenommen, sich selbst überlassen. Und damit war der Garten sicherlich artenreicher als sterile Kurzrasen und Kiesgärten. Etabliert haben sich auf der Fläche aber eher die üblichen Verdächtigen: mehrjährige konkurrenzstarke Stauden wie Nachtkerze, Akelei, Goldnessel, Brennnessel, im Betonpflaster bewundernswerter Natternkopf und vor allen Dingen überall überständiges Gras. Und auch wenn sich Eidechsen und Heuschrecken an dem hohen Gras erfreuten, richtige Pflanzenseltenheiten und Besonderheiten haben sich, bis auf eine Rapunzel-Glockenblume, nicht eingestellt.
Das hat für mich verschiedene Ursachen:
- Erstens brauchen die meisten artenreichen Pflanzengesellschaften eine bestimmte Nutzungsform. Werden zum Beispiel artenreiche Wiesen nicht mehr mindestens einmal im Jahr zur Heugewinnung gemäht, verholzen die Gräser und Wildblumen gehen immer mehr zurück. Genauso brauchen die Pflanzen auf Weideflächen eine schonende Beweidung mit Tieren, und Pionierpflanzen frischen offenen Boden, um bestehen zu können.
- Zweitens sind zwei Drittel unserer Wildpflanzen Hungerkünstler und entfalten sich am besten auf mageren Standorten. Die meisten unserer Wiesen und Äcker sind ihnen zu nährstoffreich. Allein über die Luft landen bei uns in der Schweiz pro Jahr 40 kg Stickstoff auf einem Hektar Land. Das wäre im Mittelalter eine ansehnliche Volldüngung gewesen. Wird eine nährstoffreiche Wiese oder ein Garten sich selbst überlassen, werden sich vor allem konkurrenzstarke, starkwüchsige Arten durchsetzen und die pflanzlichen Bewohner magerer Standorte knallhart verdrängen. Denn diese können ihre Stärken erst auf nährstoffarmen Flächen gegenüber den Starkzehrern ausspielen.
- Doch würde man eine Wiese extensiv bewirtschaften und das Düngen sein lassen, würde sich noch keine artenreiche Vielfalt einstellen. Es ist zwar immer wieder erstaunlich an welchen Orten man Wildpflanzen findet (siehe Guerilla Pflanzen). Doch überleben die Samen der meisten Wiesenblumen nur ein bis drei Jahre im Boden. Macht eine Übernutzung, ein häufiger Schnitt oder eine Überdüngung einer Pflanzenart den Garaus, dann kommt sie nicht so leicht wieder. Und zum „Einwandern“ der Wiesenblumen bräuchte es artenreiche Bestände in nächster Nähe. Denn laut Andreas Bosshard, Schweizer Spezialist für Wiesenpflanzen, wandern Wiesenblumen und Wildpflanzen extrem langsam: „Sie (die Ausbreitungsdistanz) beträgt unter günstigen Voraussetzungen bei den meisten Wiesenpflanzen kaum einen Meter pro Jahr.“ Bei einer geschlossenen Grasnarbe durchaus auch weniger. Das gleiche gilt für eine Rasenfläche, die jahrelang getrimmt und „unkrautfrei“ gehalten wurde. Auch hier müssten die Wildpflanzen von den umliegenden Flächen einwandern. Grenzt ein Grundstück nicht gerade an eine artenreiche Wiese ist das illusorisch.
Will man eine Wildblumenwiese neu anlegen, so muss der „Artenreichtum“ eingesät werden. Am besten mit Saatgut einer artenreichen, „wilden“ Wiese aus der Umgebung. Auch in Ihrem Garten ist es immer wieder sinnvoll Pflanzungen oder Einsaaten mit Wildblumen zu machen anstatt darauf zu warten, dass diese vom Himmel fallen. Denn Wildpflanzen sind immer auch samenfest. Das heisst sie können sich im Gegensatz zu gezüchteten Sorten, die oftmals steril sind, geschlechtlich vermehren und wieder neu aussäen.
So ist es auch bei uns passiert: Zwar ist die Einsaat unserer Wildblumenwiese das erste Mal missglückt. Doch die Färberkamille (Anthemis tinctoria) und die Karthäusernelke (Dianthus carthusianorum), die bei der Ansaat aufgegangen sind, haben sich versamt und sind jetzt im Pflaster und in einem gegenüberliegenden Beet wieder aufgetaucht. Deshalb steigert jede neue Wildpflanze in Ihren Beeten das natürliche Samenpotenzial Ihres Gartens. Wenn Sie den Pflanzen dann noch etwas offenen Boden bieten, werden sie es Ihnen danken und durch den ganzen Garten wandern: jedes Jahr an einem anderen Ort. Nur sicher nicht da, wo Sie es gerade wollen, wie ich es im Fall von unserer Wildblumenwiese erlebt habe.