Veilchen zwischen Bürgersteig und Gartenmauer.
Farn in Abflussrohr
Ich wurde von meinen Freunden zu einem gemeinsamen Wochenende nach Reims eingeladen. Drei Tage in einer Stadt zu verbringen ist für mich eigentlich nicht erträglich. Es sei denn die Stadt besticht mit interessanten Gartenprojekten, Parks, einem grünem Umland oder hat einen interessanten botanischen Garten (ich weiss, ich bin ein Naturnerd). All das lässt sich auch mit viel Goodwill nicht von Reims behaupten. Ganz im Gegenteil.
Die Stadt fiel mir vor allem durch das Fehlen von Grünflächen und Bäumen auf. Überall Asphalt, Beton und im besten Fall in der Altstadt mal streckenweise Pflaster. Es gab fast keine von Bäumen gesäumten Strassen und die einzige „grüne“ Joggerstrecke der Stadt liegt dann auch noch bezeichnenderweise direkt zwischen zwei Schnellstrassen. Gottseidank war ich hier mit zwei guten Freunden und wir machten wirklich das Beste daraus. Trotzdem fehlte mir schnell der grüne Input.
Die „grünen“ Guerillas
Bis ich genauer hinschaute. Und auf all den asphaltierten Gehwegen, den betonierten Hinterhöfen und Parkplätzen bewundernswerten Lebenswillen fand. In den schmalsten Ritzen und in Strassen in die die Sonne nie hinzukommen schien wuchsen Pflanzen.
Wilde Pflanzen, die in einem wenigen Millimeter breiten Spalt, mit gelegentlichem Regen und ein paar Krumen Sand und Erde nicht nur ihr Leben fristeten, sondern blühten. Und als mein Fokus ganz auf diesen zähen Lebewesen lag, sah ich sie überall.
Sie wuchsen an den unmöglichsten Orten: aus gusseisernen Abflussrohren heraus, in Kellerfensterschächten, am Fusse einer Südwand in einer kaum feststellbaren Öffnung zwischen dem Aspahlt und der Hauswand und dort wo gepflastert worden war, gab es ganze Miniaturgärten.
Ich habe mich gefragt, wie diese Pflanzen ihren Weg in diese sonst ziemlich pflanzenfreie Stadt gefunden hatten. Wie kommt ein Huflattich ins Stadtzentrum? Von wo kamen die Samen her? Zum Beispiel das Zimbelkraut, das an einer Ecke an einem Stromkasten hochrankt? Die Anwesenheit einer Reihe Veilchen, die in der Spalte zwischen Bürgersteig und Vorgartenmauer blühen, mögen mir noch erklärlich erscheinen. Bei ihnen ging ihr Weg ja nur über den Gartenzaun. Aber bei einem Farn im Rinnstein mitten in der Stadt stellt sich mir schon die Frage: Wie kam der hierher?
Im Falle des Huflattichs bin ich letztes Wochenende einer Lösungsidee schon näher gekommen. Ich kam an einer Kiesgrube am Rande eines Naturschutzgebietes vorbei und sah dort mehrere Haufen aus Kies, Splitt und Sand, die dort für den Verkauf an Bauunternehmen bereitlagen. Und was entdeckte ich am unteren Rand eines Sandhaufens? Dutzende Huflattichpflanzen, die jetzt im März schon wunderbar blühten. Ihre Samen würden sich im Sand wiederfinden und der würde, wenn der Zufall es so wollte, für ein Stück Pflaster in der Stadt verwendet werden. Und so kommt vielleicht ein Huflattich ins Stadtzentrum. Erst hat mich der Anblick dieser Stadt deprimiert. Sie erschien mir so lebensfeindlich. Für Pflanzen und für Menschen. Doch dann gaben mir die kleinen wilden Pflänzchen Grund zur Hoffnung. Ihre Widerstandskraft und ihr Vermögen das Beste aus den unmöglichsten Standorten zu machen fand ich inspirierend und beeindruckend. Ich fragte mich, ob es nicht Zeit wäre diesen wilden Pflanzen mehr Raum in unseren Städten zu verschaffen. Nicht nur wegen der sauberen Luft, der Abkühlung durch ihre Blattverdunstung, die uns Pflanzen verschaffen, sondern für eine lebenswertere Stadt für Menschen und Tiere. Eine schöne Blüte einer Wildblume berührt nicht nur uns im Herzen und kann mir ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Sie ist auch mit ihrem Pollen und Nektar eine Nahrungsquelle für eine Vielzahl von Insekten. Und so würde ich mir die Städte von Morgen wünschen: mit möglichst viel wildem Grün und nicht nur belebt und brummend vor Menschen und Autos, sondern auch mit Wildbienen und anderen Insekten.
Wilde Pflanzen am Bürgersteig.
Kleines Rasenstück (sicher nicht von Dürer)